Der Trost der Schönheit_ Eine Suche by Gabriele von Arnim

Der Trost der Schönheit_ Eine Suche by Gabriele von Arnim

Autor:Gabriele von Arnim [Gabriele von Arnim]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783644016545
Herausgeber: Rowohlt E-Book
veröffentlicht: 2023-08-15T00:00:00+00:00


Die Dinge, mit denen ich heute lebe, beglücken und beruhigen mich. Auch und gerade in ihrer sachlichen Gleichgültigkeit. Sie sind einfach da. Man kann sie anfassen, kann sie umräumen, kann sie am Körper tragen, kann sie mitnehmen von einem Zimmer ins nächste. Das Kissen für den Rücken, die grüne Vase mit den blauen Anemonen, die mit mir vom Schreibtisch zum Sofa in die Küche wandert, während die orange und lila gestreifte Decke mich mal im Bett wärmt, mal auf dem Balkon. Wenn ich weg bin, kann ich an meine Dinge denken, mich auf sie freuen. Und da wir zusammengehören, meine Dinge und ich, freue ich mich dann wohl auch auf mich.

Dinge können uns Halt geben und AtemMut, weil das, was wir schön finden, eine kleine Schneise mäht in die große Kummerwiese, uns für Momente tief und froh Luft holen lässt. Schöne Dinge können uns daran erinnern, dass wir sind.

Sonja Zekri erzählt in einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung von einer dem Terror entkommenen afghanischen Journalistin, die sie in einem Berliner Flüchtlingswohnheim besucht. Dort sitzt die Frau auf einem «rotgoldenen Teppich, den sie aus ihrem alten Leben mitgebracht hat».

Ich habe die Kraft, die Dinge uns geben können, lange nicht erkannt. Zwar hatte ich auch früher schon Tassen, Krüge und Körbe von Reisen mitgebracht und in meine Zimmer gestellt, aber die Dinge und ich hatten eine eher nonchalante Beziehung. Sie waren da, aber es war still zwischen uns. Die Dinge schwiegen. Oder ich hörte ihnen nicht zu. Wir lebten nebeneinanderher.

In seinem Essay «Das verschachtelte Ich» untersucht der Kulturwissenschaftler Andreas Gehrlach das Verhältnis zwischen Mensch und Ding, die Intimität zwischen beiden, die Wichtigkeit von kleinen Dingen in unseren Leben und auch unseren Grabkammern und resümiert: «Manche Gegenstände sind viel eher Organ als Besitz.»

Das ist vielleicht übertrieben. Wenn mein Herz stillsteht, bin ich tot. Wenn meine Lieblingsschüssel zerspringt, werde ich blass. War doch nur eine Schüssel – versuche ich mich zu beruhigen. Aber es war meine Schüssel. Diese eine besondere, unersetzbare Schüssel.

Viele meiner Dinge haben eine Geschichte, eine Vergangenheit. Sie haben woanders gewohnt, bevor sie zu mir kamen. Manchmal bitte ich sie, mir von sich zu erzählen.

«Sie werden doch nicht», hat mich vor sehr vielen Jahren eine Frau mit dunkler Ahnung in der Stimme gefragt, «silberne Teekannen oder kleine Gouachen in Antiquitätenläden kaufen. Woher wollen Sie denn wissen, dass sie nicht von enteigneten, deportierten, ermordeten Juden stammen.»

Sie hatte recht. Und doch bin ich weiter über Flohmärkte und durch Trödelläden gelaufen, habe gehandelt und gekauft und meine Kostbarkeiten nach Hause getragen. Ich habe immer Dinge mit Geschichte um mich. Auch wenn ich ihre Geschichte nicht kenne. Ich kann ohnehin nicht pur leben. So wie wir Deutsche es versucht haben, als wir nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus die «Stunde null» erfanden und damit suggerierten, wie neugeboren ins neue, ins demokratische Deutschland zu wechseln. Was für eine Lebenslüge. Auch wenn wir nicht mit der Geschichte leben wollen, lebt sie in uns. Und so lebe ich mit Vasen und Stühlen und Lampen und Tischen, deren Herkunft ich nicht kenne.



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